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Zucker | Public enemy No.1 oder neutraler Energieträger

Betrachtet man Mainstream-Medien und das öffentliche Interesse im Gesundheitsbereich wird schnell ein gewisses Angst-Karussel deutlich, welches turnusmäßig alle paar Jahre durchrotiert. Gesättigte Fettsäuren, Süßstoffe, Alkohol, Salz, Zucker. Nun gut, seit einigen Jahren sind wir also wieder bei Zucker angelangt. Er verursache Krebs, mache dumm, übergewichtig sowieso, erzeuge Abhängigkeiten vergleichbar mit Kokain, schädige Zellen und sei insgesamt sowieso nur ein Tool der Illuminaten, um ihren Plan der Weltherrschaft endlich zur Vollendung zu bringen. Grund genug, bei der begleitenden Hysterie die Lage einmal aus einer reflektierteren Warte zu betrachten. Ob Zucker also wirklich für die Ermordung John Lennons, die Finanzkrise und die Brexit-Krise verantwortlich ist, erfährst du hier.

Der Stein des Anstoßes

Zunächst eine nähere Betrachtung des Streitgegenstandes: Mit “Zucker” im allgemeinen Sprachgebrauch wird in der Regel der weiße Haushaltszucker bezeichnet, welcher aus Zuckerrüben gewonnen wird. Er besteht zum größten Teil aus Saccharose, einem Disaccharid. Der Einfachheit halber bezieht sich das Wort “Zucker” in diesem Artikel auf eben jene Zuckerart. Pro Gramm liefert er 4,0 kcal.

Die Vorwürfe

Hinsichtlich der detrimentalen Eigenschaften, welche dieser Substanz vorgeworfen werden, reichen die Claims weit. Folgende Thesen sind dabei am Beliebtesten: 

Zucker verursacht Übergewicht

Vermutlich Rangführer ist die Behauptung, ein hoher Zuckerkonsum verursache unvermeidlich Übergewicht und Fettleibigkeit, da die Kohlenhydrate aus Zucker im Gegensatz zu anderen Kohlenhydraten direkt in Fett umgewandelt würden. Die absolute Menge der zugeführten Kilokalorien als solche spiele keine Rolle, sondern nur ihre Zusammensetzung.Hier wird jedoch der Fakt außer Acht gelassen, dass auch für den menschlichen Körper die Gesetze der Thermodynamik gelten. Dementsprechend ist das mit einem hohen Zuckerkonsum oftmals korrelierende Übergewicht einzig auf die Ursache zurückzuführen, dass der hohe, leicht konsumierbare Energiegehalt des Zuckers oftmals in Kombination mit Fetten und einem sedentären Lebensstil eine Energiezufuhr weit über dem Bedarf bedingt. Als Folge dessen reagiert der Körper mit dem Aufbau von Triglyceriden aus überschüssiger Nahrungsenergie in der Lipogenese und deren Speicherung in den Adipocyten. Hierfür entscheidend ist jedoch lediglich der Kalorienüberschuss als solcher, unabhängig davon ob dieser durch ein Übermaß an Fetten oder Kohlenhydraten hergestellt wird. Dies konnte durch zahlreiche Metabolic ward-Studien nachgewiesen werden. 

Zucker verursacht Krebs

Diese Behauptung hat ihren Ursprung in der sog. Warburg-Hypothese. Sie entspringt den Arbeitden des deutschen Physiologen Otto Warburg, welche dieser in den 1920er Jahren durchführte. Normale Zellen verstoffwechseln Pyruvat über Acetyl-CoA und Sauerstoff. Bei einem Sauerstoffmangel jedoch entfällt dieser Schritt und die Zelle wandelt das Pyruvat in Milchsäure um, welches sie im Anschluss ausscheidet. Dieser Prozess ist deutlich ineffizienter und erfordert weitaus mehr Glukose. Steigt die Sauerstoffzufuhr wieder, produziert die Zelle weniger Laktat und kehrt zur normalen Energiegewinnung über den Citratzyklus zurück. Warburg beobachtete in seinen Untersuchungen jedoch, dass Krebszellen auch dann ausschließlich diese sog. Milchsäuregärung betreiben, wenn sie ausreichend Sauerstoff zur Verfügung haben. Dies bedingt ihren hohen Glukoseverbrauch. Darauf aufbauend jedoch entwickelte Warburg die Theorie, dass diese beobachtete Störung der Zellatmung einzig die Ursache für die Entstehung von Krebs sei. Diese These ist mittlerweile allerdings eindeutig widerlegt. Zum einen ist ebenso, wie Zucker nicht gleich Zucker ist auch Krebs nicht gleich Krebs. Je nach Art des Tumors unterscheiden sich diese in vielen verschiedenen Kriterien, darunter auch hinsichtlich des Stoffwechsels. So weisen längst nicht alle Krebszellen diesen veränderten Glukosemetabolismus auf. Zudem ignoriert die Warburg-Hypothese Erkenntnisse über genetische Veränderungen als eigentliche pathogene Ursache. 

Zucker macht müde und schadet der Denkleistung

Oftmals hört man, für geistig fordernde Tätigkeiten lieber auf langkettige “langsam verdauliche” Kohlenhydrate zu setzen, anstatt Lebensmittel mit hohem Zuckergehalt. Letztere würden für einen kurzen Anstieg sorgen, dann jedoch einen regelrechten Crash der Leistungskurve induzieren. Ist dem jedoch wirklich so? Interessanterweise wurde der Mythos des “Sugar rush” bereits 1995 in der wissenschaftlichen Community mit dem Vermerk “nicht existent” ad acta gelegt, als eine umfangreiche Meta-Analyse keine Effekte von Zucker auf das Verhalten und die kognitive Leistung an Kindern nachweisen konnte. Zur Erklärung des “Sugar rush” dienen verschiedene Theorien. So postuliert die Serotonin-Hypothese, dass der Konsum von Zucker zu höheren intracerebralen Spiegeln des “Wohlfühl”-Transmitters Serotonin(eine, wie zu vermerken ist, äußerst schlecht geprägte Bezeichnung, welche die tatsächliche Funktion von Serotonin verkennt) bewirkt, aufgrund der höheren Verfügbarkeit von Tryptophan. Dies ließ sich nie wissenschaftlich nachweisen. 

Take home Message

Wie du erkennen kannst, ist ein Großteil der Panikmache, um das “weiche Kokain” nichts mehr als unfundierte Panikmache, sowie Exaggeration durch die Medien, welche oft nicht einmal in der Lage sind, das bloße Abstract einer Studie korrekt zu interpretiert, sowie angereichtert durch unzählige selbsternannte “Experten” und “Gesundheitsgurus”, welche die allgemeine Hysterie als Chance nutzen, ihr (bestenfalls wirkungsloses bis hin zu stark gesundheitsschädigendes) Ernährungsprogramm zu verkaufen. Dennoch gibt es auch nach der Entmystifizierung einen Punkt, den du im Kopf behalten solltest: Zucker ist kein toxischer Stoff, sondern ein sehr “neutrales” Kohlenhydrat. Und eben in dieser Neutralität liegt auch eine gewisse Gefahr, welche oftmals die Korrelation eines hohen Zuckerkonsums mit all den diversen, ihm zugeschriebenen Übeln bedingt. Denn der menschliche Körper braucht zum Überleben und effektiven Funktionieren nun einmal nicht nur die Makronährstoffe Proteine, Fette und Kohlenhydrate, sondern darüber hinaus auch zahlreiche Vitamine und Mineralstoffe. Eine Ernährung, welche ihre Kohlenhydrate zu einem großen Teil aus dem neutralen Zucker bezieht, welcher all diese nicht enthält, verursacht schnell einen Mangel und bedingt damit indirekt die Entstehung zahlreicher Problematiken. Zudem besitzt Zucker in der Kombination mit Fett, wie sie in vielen Lebensmitteln häufig vorkommt eine enorm hohe Palatability, sprich Schmackhaftigkeit. Sie lassen sich enorm leicht konsumieren, was häufig dazu führt, dass deutlich mehr Kalorien aufgenommen werden, als benötigt. 

Was du aus all dem ziehen kannst: Es gibt absolut keinen Grund, Zucker aus der Ernährung zu verbannen, solange du deinen Bedarf an Mikronährstoffen erreichst und innerhalb deiner kalorischen Needs ist. Als praktische und bewährte Daumenregel gilt hier das 80/20-Verhältnis. 80% deiner Kalorien sollten aus möglichst unverarbeiteten Lebensmitteln stammen, sowie mind. 800g Obst und Gemüse pro Tag. Was den Rest betrifft: Do as it pleases you!.